Boarding

Es geht los. Die quäkende Stimme aus den scheppernden Lautsprechern sagt irgendwas. Zwischen undeutlichen Worten höre ich “Eurowings“ und “Wien“. Die ersten Wartenden erheben sich von ihren Sitzflächen, damit sie sicher ganz vorne in der Schlange sind, am längsten im Bus sitzen und dann noch das freundlichste Lächeln der Flugbegleiterinnen erhaschen können, welches bei der Ausschüttung des dritten Busses vor dem kleinen A319 Airbus schon leicht künstlich wirkt.

“…bitten wir, sich noch ein wenig gedulden.“ Der Satz sorgt bei den “Aufgestandenen“ für Konfusionen, da die übereilt verlassenen Sitzplätze im Wartebereich von den “Profis“ okkupiert wurden, die bis jetzt gestanden sind, weil sie natürlich erst fünf Minuten nach angegebenem Boardingbeginn im Wartebereich erschienen sind und somit keine freien Plätze mehr vorgefunden haben.

Diese Gestalten werden nun von den “Unvorsichtigen“ mit abschätzigen oder gar niederschmetternden Blicken regelrecht erdolcht, was den nunmehr gedanklich Toten jedoch scheinbar nichts ausmacht.

Lange fünf Minuten später geht es endlich wirklich los. Die Stehengebliebenen genießen jetzt den Vorteil gegenüber den Sitzengebliebenen, die Wiederhingesetzten spüren, dass sie nicht mehr zur Gruppe der Schnellaufsteher gehören, wollen aber auch nicht zu den Platzwegnehmern gehören, stehen also auf und stellen sich notgedrungen weiter hinten an. Reicht wohl nur für Bus 2.

Schön nebeneinander in zwei Reihen bewegt sich die Flugentenschar in Richtung Boardingpasslesegerät. Die noch sitzenden Personen werden dabei nicht aus den Augenwinkeln gelassen. Die drängen sich sonst sicher in einem unbeobachteten Augenblick in die Reihe. “Nix da, schön nach hinten! – Was, jetzt koi Deitsch kenna wella…- Sis is a row and you have to go to the back of sis row, like all the asers too – was…Business?“ “Hab doch gleich gedacht, der fühlt sich als was Besseres. Feines Mäntelchen, teure Schuhe, du musst es jo nötig haben. Dann geh halt vor…“

Im letzten Drittel vor dem Boardinggerät wird der Konkurrenzkampf gewaltlos, aber zielsicher mit kleinen Schritten ausgeführt. Die Reihen müssen von zwei auf eine zusammengeführt werden. Jetzt niemanden mehr anschauen. Wenn man alleine ist, Kopf senken und Boardingpass auswendig lernen, oder in die Ferne schauen. Dabei sich unmerklich entweder den Platz in der Hauptreihe sichern, indem man der Vorderfrau oder dem Vordermann fast auf die Hacken schlappt und seinen heissen Atem ungeniert in den Nacken der Vorderperson bläst. No koin neilassa. In der zweiten Reihe läuft es ähnlich, mit dem Unterschied, dass versucht wird, unauffällig das Handgepäck so zu platzieren, dass der Konkurrent von Reihe eins entweder sie grob wegdrücken muss, oder eben entnervt klein bei gibt.

Herrlich, das ganz entspannt zu beobachten….

Oh, was steht da jetzt neben mir in Reihe zwei? So ne Chick mit Smartphone Boardingpass. Sie schaut ganz mitleidig auf meinen ausgedruckten Boardingpass als wollte sie sagen “na, noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen?“

Ich denk nur “Alter vor Schönheit“ und verteidige meine Position, so dass Madame hinter mir sich einreihen muss.

Ha, gewonnen, Code aufs Lesegerät, grünes Licht….

Hinter mir piept es aufgeregt, die Digitalchick legt schon zum dritten Mal ihr Smartphone mit dem Display nach unten aufs Lesegerät.

Ich denke mir nur “mal wieder die automatische Bildschirmabschaltung nicht deaktiviert“, grinse mir eins und steige in den Zubringerbus.