Friedensnobelpreis für die EU – Nachdenkliche Freude

Seit gestern sind viele wieder stolz auf die EU, „wir“ haben den Friedensnobelpreis. Ein unabhängiges Gremium steht jedes Jahr vor der Aufgabe, den Friedensnobelpreis zu vergeben. Nicht immer ist das Ergebnis nachvollziehbar, und immer wird es neben Freude auch Kritik geben.

Dieses Mal wurde nicht ein Person ausgezeichnet, sondern ein Staatenverbund, der es in den letzten Monaten schwer hatte, mit positiven Meldungen in die Medien zu kommen. Und auch jetzt bin ich gespannt, wie lange die Freude hält und wann die negativen Anmerkungen wieder Oberhand gewinnen.

Gewiss, auch die zur Diskussion gestandene Menschenrechtsorganisation Memorial unter ihrem Gründungsmitglied Swetlana Gannuschkina hätte sich über den Friedensnobelpreis gefreut, ihre Arbeit wäre mehr ins Licht der weltweiten Öffentlichkeit gerückt. Die Bemerkung von Frau Gannuschkina, dass die Entscheidung für die EU ein „Zeichen von Impotenz“ sei, und dass die Auszeichnung „einer staatlichen bürokratischen Struktur zuerkannt“ worden sei, zeigt die Enttäuschung.

Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass die Auszeichnung der bürokratischen Struktur gilt, sondern der Tatsache, dass die Menschen in Europa seit dem zweiten Weltkrieg über Ländergrenzen zueinander gefunden haben und es geschafft haben, Gräben zuzuschütten und ein friedliches Miteinander zu verwirklichen.Insbesondere die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ist dabei hervorzuheben.

Trotzdem muss uns der Friedensnobelpreis zum Nachdenken anregen. Was ist aus den Ideen und dem Einsatz von Jean Monnet, Jacques Delors, Robert Schuman und Helmut Kohl geworden? Diese Politiker standen als authentische Botschafter und Verfechter einer grossen Sache, die heute sich in Diskussionen über Glühbirnen und kränkelnder gemeinsamer Währung erschöpft.

Wir sollten uns, vor allem nach dieser Auszeichnung, wieder darauf besinnen, was die EU war und auch im Kern noch ist, nämlich ein Zusammenschluss der europäischen Staaten mit dem Ziel, Europa miteinander zu gestalten. Wir nehmen den Frieden in Europa schon so selbstverständlich hin, dass wir ihn überhaupt nicht mehr wahrnehmen. In Regionen der Erde, in der ein friedliches Zusammenleben der Nachbarstaaten nach langen Kriegen erst langsam wächst, wird die Geschichte der EU anerkennend diskutiert, während die Europäer selbst sich in den Details der Tagespolitik so verlieren, dass sie das grosse Bild Europa gar nicht mehr sehen.

Die Selbstverständlichkeit Europa darf heute von uns allen in Anspruch genommen und gelebt werden, es muss uns allen aber auch klar sein, dass auch eine schon gut gewachsene Pflanze eine gewisse Pflege braucht. Vielleicht trägt der Friedensnobelpreis dazu bei, am Baum Europa nicht nur unten mit der Axt dagegen zu schlagen und oben die Früchte zu ernten, sondern ihn zu pflegen, damit er stabil bleibt.