Mein Gewissen schmerzt mich noch immer, dass ich nicht mehr tun konnte

Diesen Satz sagte vor zehn Jahren eine Frau, die ihr Leben einsetzte, um andere Leben zu retten. Von einer Frau, die rund 2500 Kinder aus dem Warschauer Ghetto vor dem sicheren Tod rettete.
Diese Frau wurde 2007 für den Friedensnobelpreis nominiert, den dann am Ende Al Gore für einen Film erhalten hat, der die Welt bezüglich der Klimaerwärmung aufrütteln sollte.

Al Gore war Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, deren heutige Regierung aus dem Klimaschutzabkommen aussteigt und die mit „America First“ zeigt, dass wirtschaftliche Interessen (heute) wichtiger sind als alles andere.

Irena Sendler, von der ich hier ein wenig berichten möchte, hat also nicht den Friedensnobelpreis bekommen. Bescheiden, wie sie war, hätte sie bestimmt gemeint, dass sie ihn nicht verdient hätte.
Kurz vor ihrem Tod wurde sie vom Parlament in Warschau zur nationalen Heldin ernannt. Der damalige Präsident Lech Kacynski bezeichnete sie als “ Symbol für alle Polen, die während der Besatzung durch die Nazis ihr eigenes Leben riskiert hätten, um das vieler Juden zu retten“. Und:“Sie verdient großen Respekt von der gesamten Nation.“

Im Jahre 1939 arbeitete die 29-jährige Irena Sendler als Krankenschwester beim Warschauer Sozialamt. Dort versorgte sie die Armen und Notleidenden. Nachdem die Nazis Warschau besetzt hatten, wurden den jüdischen Bewohnern alle Sozialleistungen entzogen. Um dennoch diese Menschen zu unterstützen, hat Irena Sendler zusammen mit Kolleginnen die Namenslisten gefälscht.

Im November 1940 wurde das Warschauer Ghetto errichtet. Etwa 400.000 Menschen waren in diesem Bereich eingesperrt. Eine Mauer von drei Metern Höhe umschloss das Ghetto. Zugang war nur an wenigen kontrollierten Stellen möglich. Die Lebensbedingungen in diesem Ghetto waren unmenschlich. Zu wenig Raum, zu wenig Essen und natürlich Krankheiten, die sich seuchenmässig ausbreiteten. „Es war die Hölle“, beschrieb es Irena Sendler in ihren Aufzeichnungen.

Als Sanitäterinnen versorgten Irena Sendler und ihre Kolleginnen jeden Tag die Menschen im Ghetto. Im Jahre 1942 begannen die Deportationen der Juden aus dem Ghetto. Irena Sendler beschloss, die Kinder zu retten, nicht zuletzt, weil sie wollte, dass das jüdische Leben nach dem Krieg weitergehen sollte. Sie stellte sich der Ausrottung des Judentums entgegen.

Polnische und jüdische Gruppierungen hatten im Dezember 1942 den Rat für die Unterstützung der Juden gegründet und ihm den Codenamen Żegota gegeben. Diese Organisation stand unter der Schirmherrschaft der polnischen Exilregierung und war im besetzten Europa die einzige Organisation ihrer Art. Ihre Unterstützung der Juden bestand meist in der Ausstellung gefälschter Papiere für Juden, die sich noch in den „arischen“ Gebieten aufhielten.
Auch finanzielle Unterstützung und medizinische Betreuung wurde von der Żegota geboten.

Der Leiter der Zegota, bot Sendler die Zusammenarbeit an. Die 32-Jährige leitete von da an das Kinderreferat der Organisation.

Irena Sendler besuchte die Familien und bot ihnen an, ihre Kinder aus dem Ghetto zu schmuggeln. Die Eltern fragten nach Garantien, die Sendler und ihre Kolleginnen nicht geben konnten. Nach den Aufzeichnungen Sendlers spielten sich regelrechte Dramen ab, manchmal stimmten die Väter zu, aber Mutter und Großmutter nicht. Und oft war es dann beim zweiten Besuch schon zu spät: Die Familie wurde von einem auf den anderen Tag deportiert.

Durch den Einsatz des Kinderreferats unter Irena Sendler wurde etwa 2500 Kinder aus dem Ghetto gerettet. Neben dem Transport der Kinder in einer Liege unter dem Krankenwagen wurden sie auch durch Kanalisation und Kellergewölbe auf „arischen Boden“ gebracht. Auch das Gerichtsgebäude am Rande des Ghettos wurde genutzt; es hatte zwei Eingänge, einen innerhalb des Ghettos und einen nach „draussen“.
Einige Kinder wurden mit Schlafmitteln betäubt um sie dann in Koffern oder Säcken oder gar Werkzeugtaschen aus dem Ghetto zu bringen. Falls eine Überprüfung stattfand, Sendler und ihre Mitkämpferinnen waren als Krankenschwestern vor allem für die Bekämpfung ansteckender Krankheiten zuständig und wurden somit von den Wachposten nicht sehr streng kontrolliert, wurden die Kinder dann als krank oder gar tot deklariert.

Nachdem die Kinder in sichere Nothilfeeinheiten gebracht waren, versuchte die Organisation in kürzester Zeit den Kindern so gut wie möglich polnische Bräuche und die polnische Sprache beizubringen, damit sie bei Kontrollen nicht aufgefallen sind.
Dank ihrer Kontakte besorgte Irena Sendler den Kindern ein neues Zuhause in polnischen Familien oder Klöstern und Waisenhäusern. Dies war eine schwere Aufgabe, da die Kinder oft von einem Unterschlupf zum nächsten gebracht werden mussten.

Alle Namen, die aus dem Ghetto gerettet wurden, hat Irena Sendler auf Zigarettenpapier geschrieben. Verschlüsselt. In einem Garten vergrabene Flaschen enthielten sämtliche Namen, denn Irena Sendler wollte nach dem unsäglichen Krieg die Menschen wieder zusammenführen.

Am 20. Oktober 1943 wurde Irena Sendler auf Grund von Denunzierungen festgenommen, ihr Haus gründlichst durchsucht, aber es wurden die Listen nicht gefunden. Irena Sendler wurde auf der Wache von SS Männern verhört und gefoltert und ins Gefängnis geworfen. Ihre Beine und Füße wurden gebrochen, aber sie hat geschwiegen. Irena Sendler wurde zum Tod verurteilt. Die Żegota konnte vor ihrer geplanten Erschießung einen SS Mann bestechen, der Irena Sendler auf der Fahrt zu ihrer Hinrichtung bewusstlos schlug und auf der Strasse liegen ließ. Die Nazis gaben Sendlers Hinrichtung bekannt und Irena Sendler änderte ihre Identität. Sie musste sogar ihre Mutter zurück lassen, die im Sterben lag. Bei deren Beerdigung suchten die Gestapo-Leute vergeblich nach Irena, die im Untergrund weiter für die Żegota arbeitete.

Der nach dem Krieg herrschende Kommunismus hat Irena Sendlers Engagement nie aufgeführt. Abschätzend als „Judenhelferin“ bezeichnet, war sie von der kommunistischen Ideologie zu weit entfernt, zumal die Judenvertreibung in den kommunistischen Ländern nach dem Krieg weiter betrieben wurde.

Für ihren Mut geehrt wurde Irena Sendler erst viel später: 1965 wurde sie von der Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.Danach bekam sie die Ehrungen ihres polnischen Heimatlandes.
Den Friedensnobelpreis durfte die 2008 verstorbene nicht in Empfang nehmen, aber sicher die Dankbarkeit der über 2500 Menschen, die durch sie gerettet wurden.