Ein verrücktes Experiment

Um es vorweg zu nehmen: Es war nicht geplant, sondern eher ein spontaner Entschluss. Und es war interessant, aber nicht unbedingt zum Nachahmen zu empfehlen.

Wovon rede ich überhaupt?

Von einer Fahrt von Essen nach Schwäbisch Gmünd mit dem »Neun-Euro-Ticket«.

Nur mal zur Erinnerung:

Für die Monate Juni, Juli und August 2022 kann man sich eine deutschlandweit gültige Monatskarte für je 9 Euro pro Monat kaufen. Mit dieser Karte darf man alle Nahverkehrszüge, Tram und Bus benutzen.
Ziel ist es, Menschen den Umstieg auf den ÖPNV (öffentlichen Personennahverkehr) schmackhaft zu machen, also möglichst viele vom Auto in Zug und Bus zu bringen – und das natürlich vor allem beim täglichen Weg von und zur Arbeit, Schule oder Studium.

Über Sinn oder gar Unsinn, über Alternativen, dieses Angebot anders zu machen, wurde und wird viel diskutiert. Vor allem, wie sonst auch, in der Art »geht gar nicht«, ohne mal zu sagen, wie es denn dann gehen soll.

Hier will ich nicht darüber diskutieren, sondern über eine Bahnfahrt berichten.

Über Fronleichnam war ich auf der Zeche Zollverein, um viele Fotos zu machen. Nach Essen mit dem Auto hat es fast sieben Stunden gedauert. Laut Routenplaner waren es 487 Kilometer und es sollte fünf Stunden und 3 Minuten dauern. Es war Feiertags- und Feierabendverkehr und leider konnten wir niemanden für die Verzögerung verantwortlich machen.

Da meine Frau einen Tag länger auf der Zeche verweilte, habe ich mich entschlossen, mit dem Zug nach Hause zu fahren.

Laut DB Navigator würde die gesamte Zugfahrt zwischen vier und fünf Stunden dauern und mit meiner BahnCard 25 in der 2. Klasse zwischen 50,90 Euro (Super Sparpreis) und 108,15 Euro für den Flexpreis kosten.

Wie gesagt, ich will jetzt hier nicht über die Kosten Auto vs. Bahn diskutieren, sondern nur die Rahmendaten darstellen.

Da ich bereits das 9-Euro-Ticket hatte (ich fahre auch sonst gerne mit dem ÖPNV, wenn es geht), war die erste Fahrt von der Zeche zum Hauptbahnhof Essen mit der Tram schon mal »frei« (ja, ok, da es die erste Fahrt mit dem Ticket war, hat diese Fahrt eigentlich mal 9 Euro gekostet …)

Am Hauptbahnhof in Essen habe ich festgestellt, dass der geplante ICE wegen »Personen im Gleisbereich« schon 70 Minuten Verspätung hat und entschieden, bis Düsseldorf dann mit der Regionalbahn zu fahren und dort in den verspäteten ICE zu steigen.

In Düsseldorf angekommen, hatte der geplante ICE schon 100 Minuten Verspätung und auch andere Fernzüge waren in Mitleidenschaft gezogen.

Und da reifte der unreife Gedanken: »Ich versuche die ganze Fahrt mit dem 9-Euro-Ticket, da ich heute eh nichts mehr vorhabe.«

Also Fahrplan Nummer eins ausgearbeitet:

Fahrtdauer 7:33 mit 5 Umstiegen (hatte nur einen kleinen Fotorucksack dabei)
Von Düsseldorf nach Koblenz, dann weiter nach Mainz, dann Mannheim. Danach von Mannheim nach Karlsruhe, von Karlsruhe nach Stuttgart und dann nach Schwäbisch Gmünd.

Im RE (Regionalexpress) von Düsseldorf nach Koblenz gab es die erste Verzögerung. Gestartet mit fünf Minuten Verspätung kamen wir in Koblenz mit fast 20 Minuten an. Grund: Man könnte sagen, dass es überfüllte Züge waren, aber es lag vor allem an den Fahrgästen, die schon in den Zug wollten, als andere noch am Aussteigen waren und somit für eine ziemliche Verzögerung sorgten.

Damit war in Koblenz der erste Fahrplan schon erledigt, also wurde ein zweiter ausgearbeitet:

Mit RE 17 nach Hochspeyer, dann nach Neustadt (Weinstr)Hbf, danach nach Karlsruhe Hbf und dann nach Schwäbisch Gmünd

Statt um 20:31 Uhr geplante Ankunft, war es eben jetzt 21:41 Uhr, dafür aber in Neustadt (Weinstr) ein längerer Aufenthalt, also kein Umsteigedruck.

Den hatte ich wirklich nicht, also alles gut – dachte ich. Weit gefehlt: Ein sichtlich genervter Lokomotivführer hat sich, wohlgemerkt, nachdem alle Reisenden in den Zug eingestiegen waren und der Zug wirklich gerammelt voll war, durch die Massen gewühlt und gefordert, dass die Fluchtwege frei bleiben müssen, da er sonst nicht losfahren würde. Verständlich, aber dies hätte man schon beim Einsteigen organisieren können, da jetzt natürlich keiner mehr raus wollte, obwohl ein Regionalzug, der zwar ein wenig länger gebraucht hätte, mittlerweile schon am anderen Gleis stand.

Ende der Geschichte: Der RE fuhr nicht ab, wegen Überfüllung, der RB war fast leer, konnte aber erst fahren, wenn der RE weg war, weil er diesen ja bei seinen vielen Halten abgebremst hätte.
Mir war es zu blöd, ich bin dann aus dem RE raus und in einen fast leeren RB. Nach und nach kamen dann auch andere Fahrgäste. Scheinbar war jetzt der Lokführer des REs zufrieden, da er mit einiger Verspätung losfuhr und wir dann hinterher.

Hier war eindeutig die DB Regio wieder überfordert, sei es in der Organisation als auch im Umgang mit den auf der einen Seite uneinsichtigen Menschen (viele hatten trotz Ansage ihre Fahrräder mit in den Zug genommen) und auf der einen Seite auch hilflosen Menschen (wo soll die Mama mit ihrem Kinderwagen jetzt noch hin, wenn sie nicht wirklich mehr vom Eingangsbereich wegkommt, da die Gänge für Kinderwagen zu schmal und der Kinderwagenbereich mit Fahrrädern zugestellt ist?)

Also Plan 3:
Mit RB statt RE nach Karlsruhe und den IRE nach Schwäbisch Gmünd dann zwei Stunden später.

Dieser Plan ging auf und ich hatte in Karlsruhe dann noch eine dreiviertel Stunde Aufenthalt und war, mit dem letzten Bus aus dem Stadtgebiet Schwäbisch Gmünd dann um 23:38 Uhr zu Hause.

In Summe dann zwölfeinhalb Stunden Reisezeit mit dem Fazit:

  • Die Bahnunternehmen selbst sind nicht verantwortlich für die Unvernunft und den Egoismus der Fahrgäste.
  • Die »privaten« Bahngesellschaften haben Angestellte, die solche Situationen besser im Griff haben (sie kommunizieren besser, sind aber auch deutlich in den Ansagen -»die Dame in dem blauen Kleid an der letzten Eingangstüre: Bitte entscheiden Sie sich, ob sie mitfahren wollen oder nicht« – »Wir bedanken uns bei unseren vernünftigen Fahrgästen für das Verständnis gegenüber den unvernünftigen«
  • Nehmt das 9-Euro-Ticket als das, was es ist: Ein regionales Ticket, das einem das Bahnfahren im Alltag näherbringen soll.

Ich danke den bei diesem Experiment beteiligten Bahnunternehmen: